"Ich habe - nicht in polemischer Form, aber in aufbauender Form - ja darüber gehandelt in meinem Buche " Die Kernpunkte der sozialen Frage ". Mir ist vielfach vorgeworfen worden, daß der Zins nicht ganz geschwunden sei aus dem, was mir als soziale Struktur der menschlichen Gesellschaft vorschwebt. Nun scheint es mir, daß es ehrlicher ist, auf den Boden der Wirklichkeit sich zu stellen und das Mögliche und Notwendige wirklich zu betonen, als auf irgendeinen nebulosen Boden, auf dem man bloß Forderungen aufstellt. Ich habe in meinen " Kernpunkten der sozialen Frage " versucht zu zeigen, daß ja durchaus das Arbeiten mit Kapital notwendig ist. Man kann nicht ohne Kapitalansammlungen große Betriebe schaffen, überhaupt im heutigen Sinne keine Volkswirtschaft zustandebringen. Ob nun dieses Kapital in Geldform gedacht wird oder in anderer Form, das ist ja eine Sache für sich. Die meisten Menschen begehen, indem sie sich über die soziale Frage hermachen, sehr häufig den Fehler, daß sie nur die Gegenwart gewissermaßen wie einen einzigen Augenblick ins Auge fassen und für diesen einzigen Augenblick nachdenken: Wie ist da das Wirtschaftsleben zu gestalten? -

Aber wirtschaften heißt zu gleicher Zeit, mit dem in einem gewissen Zeitpunkt Gewirtschafteten eine Grundlage für das Wirtschaften der Zukunft schaffen. Ohne daß man irgendwie eine Grundlage für die Zukunft schafft, würde man die Kontinuität des Wirtschaftslebens nicht aufrechterhalten können, das Wirtschaftsleben würde immer abreißen. Das begründet aber nicht Zins aus Zinserträgnissen, wohl aber Zinserträgnis, weil die Möglichkeit bestehen muß, daß immer in irgendeinem Zeitpunkt so viel gearbeitet wird, daß aus dieser Arbeit Leistungen entstehen, die auch einer zukünftigen Arbeit wieder dienen können. Das ist nicht zu denken, ohne daß der Betreffende für das, was er für die Zukunft leistet, eine Art von Äquivalent erhält, und das würde eine Art von Zins bedeuten. Ich hätte es auch anders nennen können, wenn ich hätte schmeicheln gewollt denen, die heute wettern über Zins im Einkommen. Aber es schien mir ehrlicher, die Sache so zu benennen, wie sie in der Wirklichkeit ist. Es ist notwendig, daß diejenigen, welche irgend etwas dazu beisteuern - das wird ja der einfachste Ausdruck für komplizierte Vorgänge sein - dazu, daß Kapital angesammelt, verwendet werden kann, daß diese ihre Arbeit, die sie aus der Vergangenheit, aus der Gegenwart her in die Zukunft leisten, auf diese Weise in die Zukunft vergütet erhalten. Zins in der Form, wie ich es schildere in meinen " Kernpunkten der sozialen Frage ", ist nichts anderes als Vergütung desjenigen, was in der Gegenwart geleistet worden ist, für die Zukunft.

Nun, bei solchen Dingen kommt aber natürlich immer in Betracht, was sonst im sozialen Organismus als ein notwendiges Glied mitenthalten ist. Es kommt beim Menschen zum Beispiel darauf an, daß er alle seine Glieder hat, denn sie wirken alle zusammen. So kann man ein Glied auch nur verstehen aus dem gesamten Menschen heraus. So ist es auch im sozialen Organismus, daß man das Einzelne nur aus dem Ganzen verstehen kann. Wenn Sie sich an das erinnern können, was ich mit Bezug darauf auseinandergesetzt habe, wie aufzufassen ist das Verhältnis des Bearbeitens von Produktionsmitteln, so werden Sie sehen, daß es sich dabei darum handelt, daß Produktionsmittel nur so lange etwas kosten, nur so lange verkäuflich sind, als sie nicht fertig sind. Sind sie fertig, bleiben sie allerdings bei dem, der die Fähigkeit hat, sie fertigzubringen; dann aber gehen sie durch rechtliche Verhältnisse über, sind also nicht mehr verkäuflich. Dadurch wird auch für das Geldvermögen eine ganz bestimmte Wirkung herauskommen. Es kommt nicht darauf an, daß man Gesetze macht, das Geld solle keine Zinsen tragen, sondern es kommt darauf an, daß Ergebnisse herauskommen, die dem sozialen Organismus entsprechen.

Dadurch wird das, was als Geldvermögen existiert, einen ähnlichen Charakter bekommen wie andere Güter. Andere Güter unterscheiden sich heute vom Gelde dadurch, daß sie zugrunde gehen oder verbraucht werden; das Geld aber braucht nicht zugrunde zu gehen. Über längere Zeiträume geht es ja auch zugrunde, aber in kürzeren Zeiträumen nicht. Daher glauben manche Leute, auch in längeren Zeiträumen halte es sich.

Es hat sogar Menschen gegeben, die haben Testamente gemacht, daß sie irgendeiner Stadt das oder jenes vermacht haben. Dann haben sie ausgerechnet, wieviel das nach ein paar Jahrhunderten ist. Das sind so große Summen, daß man dann damit die Staatsschulden eines sehr stark verschuldeten Staates zahlen könnte. Aber der Witz ist nur der, daß es dann nicht mehr da ist, weil es unmöglich ist, über so lange Zeiten das Geld in der Verzinsung zu erhalten. Dafür aber ist die regelrechte Verzinsung für kürzere Zeit aufrechtzuerhalten. Aber wenn im volkswirtschaftlichen Prozeß das einträte, daß tatsächlich Produktionsmittel nichts mehr kosten, wenn sie da sind, Grund und Boden tatsächlich Rechtsobjekte werden - nicht ein Kaufobjekt, nicht ein Wirtschafts-Zirkulationsobjekt -, dann tritt für das Geldvermögen ein, daß es, ich habe es öfter ausgedrückt, nach einer bestimmten Zeit anfängt einen üblen Geruch zu haben, wie Speisen, die verdorben sind und einen üblen Geruch haben, nicht mehr brauchbar sind. Einfach durch den wirtschaftlichen Prozeß selber stellt es sich heraus, daß Geld seinen Wert verliert nach einem bestimmten Zeitraume, der durchaus nicht etwa ungerecht kurz ist; aber es ist eben so. Dadurch sehen Sie, wie sehr dieser Impuls für den dreigliederigen sozialen Organismus aus den Realitäten heraus gedacht ist. Wenn Sie Gesetze geben, so geben Sie Abstraktionen, durch die Sie die Wirklichkeit beherrschen wollen. Denken Sie über die Wirklichkeit, so wollen Sie die Wirklichkeit so gestalten, daß sich die Dinge so ergeben, wie sie dem tieferen Bewußtsein des Menschen entsprechen.

Ebenso ist in einem solchen Organismus, wie ich ihn denke, durchaus nicht das arbeitslose Einkommen als solches enthalten. Nur muß man über diese Dinge auch klare Begriffe haben. Was ist denn schließlich ein arbeitsloses Einkommen? In diesem Begriff "arbeitsloses Einkommen" steckt ja sehr, sehr viel von Unklarheiten drinnen, und mit unklaren Begriffen kann man wahrhaftig keine Reformen durchführen. Sehen Sie, für denjenigen, der "Arbeit" bloß Holzhacken nennt, für den ist ganz sicher ein arbeitsloses Einkommen dasjenige, was jemand für ein Bild erhält, das er malt, und dergleichen. Es ist nur etwas radikal ausgesprochen, aber so wird oftmals das sogenannte "arbeitslose Einkommen" durchaus beurteilt. Es setzt sich das, was wirtschaftliche Werten begründet, eben aus verschiedenen Faktoren im Leben zusammen. Es setzt sich zusammen erstens aus den Fähigkeiten der Menschen, zweitens aus der Arbeit, drittens aber auch aus Konstellationen, und es ist einer der größten Irrtümer, wenn man gar definiert hat, daß irgendein Gut, das in der wirtschaftlichen Zirkulation ist, nur "kristallisierte Arbeit" sei. Das ist es durchaus nicht. Über Arbeit habe ich mich ja in diesen Vorträgen ausgesprochen. Es kommt also darauf an, daß man überhaupt den Begriff der Arbeit nicht in irgendeiner Weise zusammenbringt, wie er heute vielfach zusammengebracht wird, mit dem Begriff des Einkommens. Sein Einkommen bekommt ja ein Mensch wahrhaftig nicht bloß dafür, daß er ißt und trinkt oder sonst irgendwelche leiblichen oder seelischen Bedürfnisse befriedigt, sondern auch dafür, daß er für andere Menschen arbeitet. Also es ist der wirtschaftliche Prozeß ein viel zu komplizierter, als daß man ihn mit so einfachen Begriffen sollte umfassen wollen."

Rudolf Steiner GA 332 a, S. 208 ff

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